Wer zeigt hier die Stereotypie – Mensch oder Eisbär?

Manchmal muss man einige Nächte über eine Sache schlafen, bevor man sich dazu äußert, das habe ich getan. Meist komme ich nach so einer Denkpause zu der Erkenntnis, dass ich die Sache am besten auf sich beruhen lasse, weil sie einfach nicht wichtig genug ist, etwas dazu zu sagen. Aber diesmal ist es anders. Das liegt in erster Linie daran, dass mich jeden Tag wieder ein neuer Medienbericht an die Sache erinnert hat. Diese bemühen sich allerdings meist um Ausgewogenheit. Es geht um ein kurzes Video von der Eisbärin Corinna aus der Wilhelma, das scheinbar von einem „normalen“ Zoobesucher „spontan“ aufgenommen wurde, weil er sich Sorgen über eine von ihm vermutete Verhaltensstörung der Eisbärin machte.

Corinna in der Wilhelma

Daran ist natürlich nichts auszusetzen. Verwunderlich ist allerdings schon, dass so ein Video gleich millionenfach angeschaut wird und jede Menge „Experten“ glauben, aufgrund einer Aufnahme, die noch nicht einmal eine Minute lang ist, eine Verhaltensstörung diagnostizieren zu können, die laut PETA-Experte Höffken „ein Ausdruck eines schweren Leidens“ sei.

Ich würde gerne verstehen, warum z. B. das Video vom 11. Mai 2016, das eine entspannte Eisbärin zeigt, oder das etwa ein Jahr alte Video von Corinna mit dem gelben Ei nicht genauso viele Menschen angeschaut haben. Zumindest diejenigen Kommentatoren, die z.B. bei Facebook ihre Besorgnis über das Verhalten der Eisbärin geäußert haben, hätten doch im Internet nach weiteren Videos recherchieren müssen, um sich ein ausgewogenes Bild zu machen.

Aber darum geht es ja gar nicht. Und natürlich geht es auch nicht darum, etwas dafür zu tun, dass die Eisbärenhaltung in Stuttgart verbessert wird. Ob das zum Wohl von Corinna nötig ist, kann ich nicht beurteilen. Wir waren vor mehr als einem Jahr das letzte Mal in Stuttgart, da hat die Eisbärin fast die ganze Zeit geschlafen. So ein einzelner Besuch reicht auch keinesfalls aus, um beurteilen zu können, wie sich Corinna fühlt. Und im Gegensatz zu den selbsternannten Experten von PETA und Co. kann ich keine Schlüsse aus kurzen Videosequenzen ziehen. Ich vertraue da eher auf das Urteil der Verantwortlichen in den Zoos, die ihre Schützlinge jeden Tag sehen und reagieren, wenn ihnen Verhaltensauffälligkeiten auffallen. Mit denen hätte ich auch zuerst einmal über meine Beobachtung gesprochen, bevor ich meine Besorgnis im Internet mit einem Video und Vorwürfen veröffentlicht hätte. Nach meiner Erfahrung liegt den Menschen, die sich Tag für Tag um die Eisbären in den Zoos kümmern, sehr viel Wohlbefinden ihrer Tiere.

Lars im Zoo Aalborg – Ende April 2016

Den meisten von den Experten im Internet geht es nur darum, für ihre eigene Sache zu werben, und diese ist die Abschaffung jeglicher Tierhaltung durch den Menschen, egal ob sie Nutztiere, Zootiere oder Haustiere betrifft. Manchmal denke ich, dass es in diesem Fällen eher die Menschen sind, die eine Stereotypie zeigen.

Mittagspause bei Vilma und Fiete im Zoo Rostock

Ich sehe das anders und ich habe in den letzten Wochen eine ganze Reihe von Eisbären gesehen in Zoos in Deutschland, Dänemark, den Niederlanden und Belgien. Da waren auch einige wenige dabei, die von Zeit zu Zeit hin- und herliefen. Die meisten hatten allerdings einen Grund für dieses Verhalten und dieser Grund hatte nichts mit „schwerem Leiden“ zu tun. Es sei denn man glaubt, dass die Tatsache, dass ein Tierpfleger in der Futterküche Futter vorbereitet und der Eisbär hofft, es gibt gleich etwas zu essen, dem Tier ein Leid zufügt oder dass der männliche Eisbär, der sich gerne mit dem Weibchen nebenan paaren möchte und das nicht darf, weil die sich gerade um den Nachwuchs kümmert, eine Verhaltensstörung hat.

Er wäre gerne auf der anderen Seite der Treppe, Eisbär Lloyd im Zoo am Meer.

Nun fotografieren mein Mann und ich normalerweise und machen nur von Zeit zu Zeit ein Video, deshalb kann ich hier nur mit kurzen Eindrücken aus niederländischen Zoos dienen. Ich denke nicht, dass sie besonders häufig angeschaut werden, schließlich zeigen sie einfach Eisbären, die spielen. Das eignet sich kaum dazu eine Hysterie im Internet zu erzeugen.

Der Eisbär, der mit dem Ball spielt, ist Felix in diesem Frühjahr im Ouwehands Dierenpark in Rhenen in den Niederlanden. Wir haben ihm bestimmt eine halbe Stunde beim Spielen zugeschaut, aber es wäre übertrieben zu behaupten, er hätte es den ganzen Tag stundenlang gemacht. Und bei unserem letzen Besuch diese Woche Mittwoch hat er die ganze Zeit sehr entspannt geschlafen. Uns hätte es natürlich mehr Freude gemacht, wenn er wieder gespielt hätte, aber ich gönne ihm seine Entspannung.

Felix hatte einen faulen Tag.

Die beiden jungen Eisbären Akiak und Sura hatten an diesem Tag viel Spaß beim Reinigen der Scheiben zu helfen. Die beiden sind allerdings noch ziemlich jung und natürlich entsprechend verspielt. Nach dem Putzvergnügen bearbeitete Akiak einen Kanister, der an einem Seil an einem der Bäume hing, bis dieser sich um einen Ast wickelte und außerhalb seiner Reichweite hängen blieb. Er und seine Schwester hatten aber im Laufe des Tages keine Probleme andere Dinge zu finden, mit denen sie sich den Tag vertreiben konnten. Aber auch sie haben nicht nur gespielt, sondern auch geschlafen, wenn auch kürzere Zeit als ihre Mutter Freedom und ihre Oma Huggies.

Akiak hatte Spaß – und wir auch!

Nicht nur Akiak auch Oma Huggies hatte Lust auf ein Bad.

Einige Tage vorher haben wir den beiden Jungtieren im Dierenrijk in Mierlo zugeschaut. Sie hatten miteinander viel Spaß im Wasserbecken, mal ohne und mal mit Mama Frimas. Und geschlafen wurde hier auch.

Der Vater der beiden Kleinen nebenan machte das, was Corinna entweder „stundenlang“ oder „von Zeit zu Zeit“ tut, je nachdem, wessen Aussage man glaubt. Er patrouillierte vor der geschlossenen Schleuse hin- und her. Schließlich sagen ihm seine Hormone, dass jetzt die richtige Zeit wäre, um sich um die Erhaltung der Art zu kümmern. Er tut mir, wie alle Eisbärenmänner, die vom Weibchen getrennt werden, leid, aber ich meine damit nicht, dass er in einer krankhaften Form leidet.

Frimas und ihr Nachwuchs im Wasser …

… und nach dem Spiel hatten die Kleinen Hunger.

Zwischendurch hatte selbst Henk Lust auf ein Bad.

Auch in der Natur kann sich ein Eisbär nicht immer dann paaren, wenn er es möchte. Denn auch da ist ein Teil der Weibchen mit der Jungenaufzucht beschäftigt und um den verfügbaren Teil muss er sich normalerweise mit anderen Männchen auseinandersetzen, die sich auch paaren wollen, und die können ihm im schlimmsten Fall schwer verletzen, was ihm dann tatsächlich schweres Leid zufügen würde. Im Vergleich dazu geht es Henk also im Dierenrijk und den anderen Eisbären, die wir in der letzten Zeit gesehen, ziemlich gut.

Chillen am Pfingstsonntag – Rocky in der Monde Sauvage in Aywaille

Einer der diversen Artikel über Corinna:

http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.wilhelma-eisbaeren-koennten-bald-geschichte-sein.12f89215-0b88-4c56-bce2-e7e92437a24c.html

 

7 Antworten zu “Wer zeigt hier die Stereotypie – Mensch oder Eisbär?

  1. Thank you for the article. It is interesting to note that people get upset if a polar bear walks a path, over and over, but if the polar bear swims for a long time, in the same way, it is having fun. Polar bears need to exercise. They like to swim and walk. And so they do in zoos.

  2. Hallo Ulli,
    Danke für den Beitrag 🙂

    39 Sekunden aus dem Leben Corinnas regen ja wirklich einige zum wilden fabulieren an 😉 Ich vertraue da lieber Menschen mit fundiertem Wissen die,die Bärin schon 26 Jahre in ihrem Zoo betreuen.
    Auf alle Fälle ist Corinna nun“ berühmt“ 😉 nach den Videoklicks (z.Z.2.784.760) noch berühmer als Knut,WOW ! 🙂

    noch eine kleine Sequenz aus Corinnas Leben im Zoo

  3. Hallo liebe Ulli,

    mir geht es wie Heidi aus Erlangen, ich kann diesen Hype auch nicht nachvollziehen. Um so erstaunter bin ich, dass gerade Leute, die ja seit der neuen Eisbärenzeitrechnung (Knut) diese wunderbaren tierischen Kreaturen besuchen, ihre eigenen Beobachtungen komplett zur Seite legen und auf diesen Zug mit aufspringen. 😕

    ❤ lichen Dank liebe Ulli für diesen aufschlußreichen Beitrag dem ich voll und ganz zustimmen kann.

    Liebe Grüße
    ManuELA

  4. Ganz herzlichen Dank für diese ausgewogene Stellungnahme zu einem Hype, den ich persönlich nicht nachvollziehen kann. Und ein besonderes Dankeschön für das neueste Foto von unserem SchlaWiener aus Nürnberg!
    Liebe Grüße
    Heidi aus Erlangen

  5. Herzlichen Dank!
    Für mich steht schon länger fest,wer die besseren Lebewesen auf diesem Planeten sind-der Mensch sicher nicht!

    Liebe Grüße von Brigitte.

  6. Danke Euch beiden von Herzen-keine Experten aber Menschen mit Verstand fürs das Wesentliche ❤ Und Eure Bilder und kurzen Videos sind wie immer wunderbar zu betrachen.Weiter so -Org.und Co.dürfen weiter üben 😀
    Bear Hugs von Marga

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