Churchill: Eine ethische Diskussion

Churchill, 3. Dezember 2017

Foto: ulalume

In Churchill warten zwei verwaiste Eisbären auf einen Flug in den Assiniboine Park Zoo von Winnipeg, doch diesmal legen führende Vertreter der Gemeinde ihr Veto ein: Sie glauben, dass es Zeit sei, die Bären dort zu lassen, wo sie geboren wurden.

Mitarbeiter von Manitoba Conservation haben die beiden Bären im „Bärengefängnis“ der Stadt eingesperrt und planen, sie nach Winnipeg zu fliegen. Der Bürgermeister von Churchill, Mike Spence, erklärte, dass es mittlerweile, inklusive der beiden Jungtiere im Lockup heute, neun Bären gab, die in den letzten vier Jahren von Churchill in den Zoo transportiert wurden. Seiner Auffassung nach sind das zu viele. „Was wir in den letzten Jahren mit verwaisten jungen Bären gemacht haben, die direkt in den Zoo gehen, ist keine Option. Das haben wir laut und deutlich von den führenden Mitbürgern gehört.“

Mike Spence informierte, dass die beiden Bären  von verschiedenen Müttern stammen und ungefähr 11 Monate alt sind. Der Bürgermeister berichtete, er habe Anfang dieser Woche direkt mit dem Minister für nachhaltige Entwicklung der Provinz Manitoba, Rochelle Squires, gesprochen und um etwas Zeit gebeten, um über andere Optionen für die Bären nachzudenken. Vielleicht könnten die Bären mit einem Tracking Halsband versehen zurück auf das Eis gebracht werden, damit die Forscher herausfinden könnten, ob sie überleben. „Es wäre im Grunde ein Versuch, einen anderen Weg zu gehen. Denn wenn man sie erst einmal aus der Bevölkerung herausholt wie wir [und] sie in einen Zoo schickt … dann ist es das.“ Später wurde ihm von einem Mitarbeiter des Ministeriums gesagt, dass die Bären nach Süden gebracht würden.

In Churchill gab es letztes Jahr 351 Begegnungen mit Eisbären. Ein Rekord für die Gemeinschaft. 65 Bären mussten narkotisiert und im Eisbärengefängnis untergebracht werden, bevor sie wieder in die Wildnis entlassen werden konnten.


Foto: Charles Anderson

Der Bürgermeister und der Rat von Churchill sind fest davon überzeugt, dass die Bären im Norden bleiben sollten, aber einige haben auch Einwände. Der Präsident von Frontiers North Adventures, John Gunter, war vor zwei Wochen mit Kunden unterwegs, um Eisbären zu beobachten, als er einen der beiden verwaisten Eisbären sah und ihn Manitoba Conservation meldete. John Gunter hat gemischte Gefühle, wenn es darum geht, die Bären einzufangen und in einen Zoo zu bringen, anstatt sie der Natur zu überlassen. Er weiß, dass beide Bären in der Wildnis wenig Überlebenschancen haben, und sieht einen Wert darin, dass sie in einem Zoo den Besuchern etwas beibringen können.

„Es ist eine schwierige Frage. Ich glaube nicht, dass jemand die Antwort hat und ich denke, wenn man Leute aus der Zoologischen Gemeinschaft befragt, denke ich, dass sie das Gefühl teilen würden, dass die Stadt zu diesem Zeitpunkt hat, der Assiniboine Park Zoo und die International Polar Bear Conservancy ist voll und es gibt in Kanada keinen Platz für diese Bären, „sagt John Gunter. Er stimmt aber zu, dass, wenn man die beiden Eisbären frei ließe, dies eine Chance wäre, mehr Kenntnisse und Daten darüber zu sammeln, was mit verwaisten Jungen passiert. Eine Sicht, die auch von Fachleuten geteilt wird.

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Dr. Andrew Derocher ist Professor für Biologie an der Universität von Alberta und hat im letzten Frühjahr Eisbärenforschung auf dem Meereis an der Hudson Bay betrieben. Er war auch einer von mehreren Biologen, die von der Regierung von Manitoba befragt wurden, was mit den Waisenbären, die derzeit in Churchill untergebracht sind, geschehen soll. „Der Konsens war, dass diese Jungen nicht alleine überleben würden, aber das wirft immer noch die Frage auf, ob man bei Tieren eingreifen möchte, die sonst sterben würden. Oder ob man intervenieren will und sie in eine zoologische Einrichtung bringt? Das ist mehr eine ethische als eine wissenschaftliche Diskussion“, erklärte Andrew Derocher in einem CBC News Interview.

Andrew Derocher sagte, die Bären im Gefängnis in Churchill hätten wahrscheinlich weniger als fünf Prozent Überlebenschance, wenn sie freigelassen würden. Doch der Tod von Jährlingen sei eigentlich nicht ungewöhnlich. Etwa 20 % der Jungen mit einer Mutter sterben bevor sie erwachsen sind. Das Problem, erklärte der Biologe, sei entstanden, weil, nachdem man die Bären nach Winnipeg brachte, sie nirgendwo anders mehr untergebracht werden können. Kanadas Zoos sind in der Tat an der Grenze ihrer Aufnahmekapazität für Eisbären und gegenwärtig gibt es keinen regulatorischen Rahmen unter dem US Marine Mammal Protection Act, Eisbären in amerikanische Zoos zu schicken, obwohl einige sicherlich der Aufgabe gewachsen wären.

Nach der Meinung des Wissenschaftlers ist die Diskussion darüber, was mit Waisenbären zu tun ist, deshalb aktuell entstanden, weil sie in größerer Zahl auftauchen und die derzeitige Gesamtbevölkerung der Eisbären in Hudson Bay gesund ist. Die Austattung der Bären mit Tracking Halsbändern war eine der Optionen, die die Biologen und die Regierung von Manitoba in Bezug auf die beiden Bären in Churchill diskutierten. Nach Derocher hätte es einen gewissen Wert, sie zu nach der Freilassung zu verfolgen, warnt aber, dass die Technologie noch nicht perfekt sei und die Kosten dafür zu hoch wären.

Wie John Gunter, fällt es Andrew Derocher nicht leicht, eine eindeutigen Antwort darauf zu geben, wie man mit den Waisenbären verfahren sollte. „Ich bin zwiespältig“, sagte er. „Ich glaube nicht, dass es eine definitive Antwort darauf gibt und es ist in der Realität eine politische Entscheidung, die von der Regierung von Manitoba in Absprache mit ihren Biologen und den Menschen in Manitoba getroffen werden muss.“

Foto:Valerie Abbott

Zu diesem Zweck konsultierte das Ministerium für nachhaltige Entwicklung von Manitoba die Stadt Churchill und Bürgermeister Mike Spence, um eine Lösung zu finden. In einer Erklärung von Minister Rochelle Squires hieß es, die Eisbären von Churchill seien „wirklich unersetzbar“. „Während die Abteilung für Nachhaltige Entwicklung stark darauf konzentriert ist, ihr Überleben zu sichern, versucht unsere Regierung mit der Gemeinschaft und unseren Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten, um über die Zukunft dieser Jungen zu entscheiden und die Eisbärpopulation in der Nähe von Churchill zu schützen.“

Original Artikel in Englisch: http://www.cbc.ca/news/canada/manitoba/churchill-polar-bears-manitoba-orphan-cubs-wildlife-management-1.4430302